Wasserstoff Fachbeitrag - 3

Wasserstoff - das grüne Erdöl
Norddeutschland WIRD zum europäischen Hub für grünen H2

Von: Jörn Arfs - Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung der IHK Nord

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Eine Bündelung und Konzentration der Kräfte ist auch bei den fünf norddeutschen Wirtschaftsförderorganisationen geschehen. Sie haben im Dezember 2020 auf Initiative der IHK Nord, dem Bündnis von zwölf norddeutschen Kammern, ein Wasserstoff-Cluster bzw. die „Standortinitiative HY-5“ gebildet und entwickeln aktuell ein gemeinsames Marketingkonzept. Ein zusätzliches ambitioniertes Projekt ist das „Norddeutsche Reallabor“. In vier „geografischen Hubs“ in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg entwickeln bis 2025 fünfzig Partner aus Wirtschaft und Forschung Konzepte für die Sektorenkopplung (Vernetzung der Sektoren der Energiewirtschaft (Elektrizität, Wärme- bzw. Kälteversorgung, Verkehr) mit der Industrie, um zu einer ganzheitlichen Betrachtung aller Sektoren zu kommen, die ein besseres Gesamtsystem ermöglicht; Anm. d. Verf.) und für die Nutzung von H2 für Industrie und Mobilität; Investitionsvolumen: 355 Mio. Euro (siehe Kasten: Interview mit Prof. Werner Beba, Projektkoordinator).

Der promovierte Physiker Taube vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht Hereon blickt optimistisch in die nähere Wasserstoff-Zukunft Norddeutschlands „Ich bin zuversichtlich, dass wir bis 2030 schon erhebliche Teile unseres schienengebundenen Regionalverkehrs auf nicht-elektrifizierten Strecken sowie des LKW-Verkehrs auf Wasserstoffbasis sehen werden.“ Überdies würden die ersten Prototypen emissionsfreier und kleinerer Verkehrsflugzeuge (siehe: Interview mit Hamburgs Flughafenchef Michael Eggenschwiler) in der Luft sein. Und die Dekarbonisierung (Abkehr von der Nutzung kohlenstoffhaltiger Energieträger; Anm. d. Verf.) der Stahl- und Chemieindustrie durch den Einsatz regenerativ erzeugten grünen Wasserstoffs werde bis dahin auch große Fortschritte gemacht haben. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist für Klaus Taube dabei, die Wasserstofftechnologie nicht nur praktisch umzusetzen, sondern auch weitere Teile der Wertschöpfungskette in den Norden zu holen. Bisher gebe es nach seinen Informationen keinen einzigen Hersteller von Elektrolyseuren, Brennstoffzellen, Kompressoren oder Speichertanks, der in Norddeutschland produziert. Ähnlich sieht es im Verkehrsbereich aus, auch wenn bereits mit Wasserstoff angetriebene PKW und Busse in wachsender Zahl unterwegs sind und neben Flugzeugen und Brennstoffzellen-Zügen auch der Einsatz von emissionsfreien kleinen Fähren und Schiffen im Binnen- und Kurzstreckenseeverkehr geplant ist.Die bislang einzige Ausnahme bildet der Fahrzeughersteller FAUN Umwelttechnik aus dem niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck. Während der Volkswagen-Konzern in Wolfsburg fast ganz auf die Elektromobilität setzt, hat FAUN ein modulares, teilweise mit H2-angetriebenes Baukastensystem für die Gestelle ihrer Müllfahrzeuge und Kehrmaschinen entwickelt. Marketing- und Kommunikationsleiterin Claudia Schaue sieht darin die Zukunft der emissionsfreien Entsorgung: „Die Kombination von Batterie und Wasserstoff-Brennstoffzelle ist sinnvoll, da sie perfekt an die Einsatzbedingungen der Fahrzeuge angepasst werden kann. Es gibt Einsatzgebiete bzw. Sammelreviere, da ist die Batteriekapazität ausreichend, beispielsweise in Bremerhaven. Und wo mehr Reichweite benötigt wird, z. B. für Fahrten über die Autobahn, holen wir uns diese über die Wasserstoff-Brennstoffzelle.“ 


Neben H2 werde es weiterhin Batteriekonzepte geben, denn bei neuen Technologien gebe es keine Lösung, die für alle Anwendungsfälle passe. Schaue betont aber: „Batterien sind teuer und schwer, der Ladevorgang dauert lange und um die benötigte Leistung für Müllfahrzeuge zu erreichen, müssten viele schwere Batteriepakete mitgeschleppt werden, was sich negativ auf die Nutzlast des Nutzfahrzeugs auswirkt.“ Wasserstoff hingegen sei leicht, könne genauso schnell wie konventioneller Kraftstoff nachgetankt und zudem in Müllverbrennungsanlagen mittels Elektrolyse hergestellt werden – „ein perfekter Kreislauf“. Je mehr Wasserstofffahrzeuge im Einsatz seien, desto schneller werde die Infrastruktur automatisch ausgebaut werden.


FAUN hat schon erste Abfallsammelfahrzeuge an die Bremer Stadtreinigung ausgeliefert und wird bis 2030 nur noch mit Wasserstoff angetriebene Fahrzeuge produzieren. Der führende Hersteller von Entsorgungsfahrzeugen in Europa hat mit einigen Industriepartnern die Initiative „Clean Hydrogen Coastline“ gegründet, die eine marktrelevante Integration und Skalierung der Wasserstoff-Technologie in das deutsche und europäische Energiesystem erreichen will. Projektpartner in Nordwestdeutschland sind ArcelorMittal Bremen, EWE, Gasunie, swb und TenneT. 


Der Hamburger Reeder Nikolaus W. Schües hat bereits für Wasserstoff geschwärmt und ihn als Energieträger von morgen propagiert, als noch wenige vor den Gefahren des Klimawandels warnten. Der Inhaber der Reederei F. Laeisz und ehemalige Präses der Handelskammer war 1989 Mitgründer der Wasserstoffgesellschaft Hamburg und von 2005 bis 2013 ihr Vorsitzender. Er kritisiert, dass viel versäumt wurde, um in Europa eine energiepolitische Unabhängigkeit und eigene Versorgungssicherheit zu erreichen und um Industrie, Mobilitätssektor und Energiewirtschaft vollständig defossilieren zu können: „Bundesregierung und EU-Kommission haben leider sehr spät und langsam begonnen, die Bremsen zu lösen, um in Deutschland grünen H2 kostengünstig produzieren zu können. Allein 2020 ist Strom für mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro durch Windkraftanlagen-Stillstand verschenkt worden, womit grüner Wasserstoff hätte produziert werden können“, beklagt Schües.

Lesen Sie auch: "Strom aus erneuerbaren Quellen und Wasserstoff, der wiederum aus grünem Strom erzeugt wird, werden die zentralen Energieträger der Zukunft sein.“ Interview mit Prof. Dr. Werner Beba, HAW Hamburg und Leiter des Competence Centers für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sowie Leiter des Projekts Norddeutsche Energiewende NEW 4.

Marktprognosen besagen, dass der Bedarf an grünem H2 sehr stark steigen wird und nicht mehr allein aus Norddeutschland oder Offshore-Elektrolyseanlagen in der Nordsee gedeckt werden kann. Auch Deutschland und die EU benötigen mehr grünen Wasserstoff, als sie gemeinsam produzieren können. Dann wird es voraussichtlich im nächsten und spätestens im übernächsten Jahrzehnt notwendig sein, H2 aus Gegenden der Welt zu importieren, wo dieser im großindustriellen Maßstab kostengünstig produziert werden kann. Der Transport werde dann, je nach Lage der Produzenten, innerhalb Europas wahrscheinlich über ein Wasserstoff-Gasnetz und bei weiter entfernten Ländern per Schiff erfolgen. Eine erste Machbarkeitsstudie zum Wasserstoffimport aus Australien ist bereits in Arbeit.


Die neue Stiftung H2 Global, an der auch die Reederei F. Laeisz beteiligt ist, soll dabei helfen, die zu erwartende Versorgungslücke zu schließen. Der Ansatz: Die mit staatlichem Kapital gegründete Stiftung unterstützt Konsortien, in die Produktion von grünem H2 im EU-Ausland einzusteigen. Sie müssen sich in einem Auktionsverfahren zur langfristigen Lieferung von grünem Wasserstoff nach Deutschland durchsetzen. Auf der Abnehmerseite erhalten die Unternehmen - wie Siemens Energy, Thyssen Krupp oder die Deutsche Bank -, die den höchsten Preis für H2 zu zahlen bereit sind, einen jährlichen Zuschlag. Die Lücke zwischen den voraussichtlichen Herstellungskosten und der Zahlungsbereitschaft der nachfragenden Unternehmen aus der Industrie wird mit Hilfe des Stiftungskapitals geschlossen.


Nikolaus W. Schües nennt mögliche Kandidaten für H2-Energiepartnerschaften: „Die südliche Hemisphäre hat mehr Tage im Jahr Sonne als die nördliche, also kommen sämtliche Länder in diesen Zonen in Frage; entscheidend wird sein, auf welcher Win-Win-Basis eine Zusammenarbeit vereinbart werden kann. Zusätzlich zur Photovoltaik kommt die Windenergie hinzu, hier sind Chile oder Marokko interessante Partner.“ Aufgrund der vorhandenen Flächen spreche nach Ansicht von Schües auch viel für Brasilien, Saudi-Arabien und Westafrika, oder die Karibik, zum Beispiel Trinidad.


Gleichzeitig, das ist ein weiteres Stiftungsziel, baut Deutschland eine eigene Exportwirtschaft für erneuerbare Energien auf. Größtes Potenzial haben laut der Studie von Boston Consulting Anlagen zum Einsatz von H2 in der Industrie und im Verkehrssektor (bis 2050 jährlich 80 bis 90 Mrd. Dollar). Dazu gehören Tankstellen und Maschinen, mit deren Hilfe sich Stahl CO2-neutral herstellen lässt. Der Stahlhersteller Arcelor Mittal mit Standorten in Bremen und Hamburg hat sich dieses ehrgeizige Ziel gesetzt. Für Maschinen, die H2 produzieren, schätzt die Unternehmensberatung ein jährliches Marktvolumen von 60 bis 65 Mrd. Dollar.


„Die EU-Industrien sind Weltmarktführer zum Beispiel im Bau von Elektrolyseanlagen“, so Schües. „Diese Exportlieferungen könnten das Importland mit grünem H2 versorgen und darüber hinaus könnte Wasserstoff in Form von Ammoniak zurück in die EU geliefert werden.“ Gerade Länder in Westafrika könnten mit dieser neuen Technik eine stabile Wasserstoffstruktur schaffen, was für die dortige Bevölkerung dringend notwendige Zukunftsperspektiven eröffne.

 

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