Prof. Dr. Stefan Kooths (IfW): "Es fehlt eine Energiestrategie"
Hamburg. 23. November 2022. Die Jahresveranstaltung „Konjunkturperspektiven 2023“ von UVNord und IVH sowie der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zur konjunkturellen Entwicklung der norddeutschen Wirtschaft im kommenden Jahr fand heute im Hotel Atlantic in Hamburg statt. Vorträge hielten Prof. Dr. Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und Dr. Johannes Hoffmann, Leiter Abteilung Internationale und Europäische Wirtschaft der Deutschen Bundesbank. Im Rahmen der Veranstaltung sprachen ebenfalls die Spitzen von UVNord und IVH sowie der Bundesbank Hauptverwaltung Hamburg.
Gleich zu Beginn betonte Matthias Boxberger, Vorsitzender des Vorstandes des Industrieverbands Hamburg (IVH), in seiner Begrüßung, dass sich Hamburgs Industrie in Zeiten der größten Energiekrise in schwerer See befände: „Jahrzehnte nicht mehr gesehene Inflationsraten und ausufernde Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, die Pandemie, die Transformation zur Klimaneutrali-tät, Lieferketten-Probleme und Fachkräftemangel, setzen die Hamburger Industriebetriebe mächtig unter Druck. Unter diesen Rahmenbedingungen darf es keine Erhöhung von Standortkosten mehr geben. Zur Stützung der konjunkturellen Möglichkeiten am Standort Hamburg, muss der Senat schnellstmöglich ein Belastungs-Moratorium für jegliche Steuern, Gebühren und Abgaben für den Industriestandort Hamburg für die beiden kommenden Jahre erklären. Der historische Energiepreisschock darf nicht nur ausgesessen werden, es muss jetzt stützend eingegriffen werden. Andernfalls wird die Gefahr von Deindustrialisierung billigend in Kauf genommen und sogar befördert. In Hamburg sind wir bereits mit Produktionseinstel-lungen und -verlagerungen in einzelnen Branchen betroffen. Der Industrieverband hat in den letzten Wochen konkrete Vorschläge zur Standortentlastung und -stärkung gemacht und wird auch in der nächsten Zeit das Wort für Hamburgs Industrie ergreifen.“
Auch Dr. Arno Bäcker, Präsident der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, unterstrich in seinem Grußwort: „Bedingt durch den russischen Angriffskrieg, die Energiepreise und die andauernden Beeinträchtigungen von Lieferketten ist die Inflationsrate seit dem Herbst 2021 gravierend angestiegen. Dies und die hohe Unsicherheit führen dazu, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland den kommenden Winter über sinken dürfte. In Reaktion auf die hohe Inflation hat das Eurosystem seine Geldpolitik angepasst, um die Inflationsrate in der mittleren Frist zurück auf zwei Prozent zu bringen.“
"Deutschland hat keine energiepolitische Strategie", so Prof. Dr. Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), in seinem Expertenbeitrag. Es fehle eine Perspektive, man hangelt sich von einem Kompromiss zu anderen: „Die deutsche Wirtschaft driftet in schwierigem Fahrwasser. Die postpandemische Erholungsphase wurde mit der Energiekrise infolge des Kriegs in der Ukraine jäh unterbrochen. Zwar war die Wirtschaftsleistung bis ins dritte Quartal hinein noch aufwärtsgerichtet; dies ist aber auf Nachholeffekte zurückzuführen, die über die fragile Konjunkturlage nicht hinwegtäuschen dürfen. Mit der Energiekrise haben die Standortbedingungen hierzulande abermals – und zwar deutlich – gelitten." Im Übrigen, so Prof. Kooths weiter, habe Deutschland keine Energiestrategie. Es fehlten Perspektiven, die Bundesregierung reihe Kompromiss an Kompromiss, anstatt eine langfristige Strategie zu entwickeln. In Anlehnung an einen Wahlslogan der CDU aus dem Bundestagswahlkampf 2021 fordert Stefan Kooths ein Umdenken der Bundesregierung: "Nicht "Machen was Arbeit schafft" ist richtig, sondern "Schaffen was Arbeit macht" muss es jetzt heißten."
Auch in seinem Schlußwort appellierte
Dr. Philipp Murmann, Präsident UVNord – Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein
noch einmal an die Bundesregierung:
„Die hohen Energiepreise und die schwächelnden Konjunkturaussichten werden die Wirtschaft in Hamburg und Schleswig-Holstein vor große Herausforderungen stellen. Die Investitionstätigkeit nimmt vor diesen Hintergrund national und international erheblich ab." Es drohe der Wirtschaft, dass sie im globalen Wettbewerb weiter an Boden verliere. Und weiter: "Die Energiekrise ist maßgeblicher Auslöser für Inflation, Rezession und Wohlstandsverlust. Es ist jetzt Aufgabe der Bundesregierung in dieser angespannten Situation wirtschaftliche Perspektive und Zuversicht durch die Sicherung unserer Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen zu schaffen. Nur durch zügige Maßnahmen werden wir eine Deindustrialisierung auch in Hamburg und Schleswig-Holstein verhindern können. Die Länderregierungen müssen hierfür ihren Beitrag ebenso leisten. Der Norden müsste mehr denn je zusammenrücken und Themen wie Hafenschlick, Weiterbau der A20 und Energiewende gemeinschaftlich lösen, um im Wettbewerb der Standorte zukünftig gegenüber dem Süden noch eine bedeutende Rolle zu spielen. Für parteipolitische Spielchen besteht in Zeiten einer bevorstehenden Rezession nun einmal überhaupt kein Spielraum. “