Reisen können das Leben grundlegend verändern. Dr. Niels Mueller-Wickop hat es erlebt. Seine Perspektiven und Prioritäten hatten sich nach 347 Tagen Wanderlust, die ihn gemeinsam mit seiner Freundin rund um die Erde geführt hatte, verschoben. Wieder in Deutschland fühlt sich der neue Job als Vorstandsassistent zunehmen fremd an: „Ich hätte nie gedacht, dass ich als anderer Mensch zurückkomme“, erinnert sich der Wirtschaftsinformatiker.
Zunächst ist der Plan für einen Neustart unscharf, doch dann nimmt die Mission Gestalt an: Er will auch anderen ermöglichen, was er erleben durfte: authentisch zu reisen und sich dabei selbst von neuen Seiten kennenlernen. „Wir alle sollten hin und wieder aussteigen, Menschen jenseits unserer Blase kennenlernen und unserem Leben eine neue Richtung geben.“ Der Wunsch nach individuellen Reisen jenseits der ausgetretenen Touri-Pfade ist über alle Altersgruppen und Budgetrahmen hinweg groß, ist sich Niels sicher, die Reisebranche milliardenschwer und noch nicht in allen Segmenten digital. Dazu hat Reisen noch nie einen so hohen Stellenwert im Leben junger Menschen eingenommen – Statussymbole wie Auto, Haus und Co. haben längst ihren Stellenwert verloren. Müller-Wickop fragt sich, wie er möglichst viele Menschen in die Lage versetzen kann, ihre kühnsten Reiseträume umzusetzen: „Ich wollte die Potentiale der Sharing Economy auf die Reiseplanung übertragen: Wer mit Gleichgesinnten reist, traut sich auch an entlegene, unbekannte, exotische Gefilde. Und wer Zimmer, Tickets und Transportmittel mit anderen teilt, spart Geld.“ Das war die Idee.
2017, fast zwei Jahre nach seiner Weltreise, gründet Niels Wickop gemeinsam mit Valentin Funk Travelsation. STS Ventures und Stefan Wiskemann finanzieren die erste Runde mit 500.000 Euro, Ury Steinweg und Matzen Ventures legen eine Million Euro nach. 2018 gewann Niels und Valentin JoinMyTrip dazu und behalten den Namen. 2019 freuen sie sich bereits über 100.000 Nutzer aus 17 Ländern.
Das Erfolgsrezept des Portals: Nutzer werden in zwei Gruppen eingeteilt. Die erfahrenen Organisationstalente, die in ihren Freundeskreisen seit jeher die Planung von Reisen übernehmen, und die zweite Gruppe, die sich anschließen möchte und Routen- sowie Budgetplanung zu schätzen wissen. Nach diesem Prinzip sind die Reisenden bei JoinMyTrip in TripLeader und TripMates gegliedert. Die einen bieten eine Reise, geben Zeitraum und Route vor und erheben dafür eine Gebühr, deren Höhe sie selbst bestimmen können. Die anderen haben die Qual der Wahl – aktuell sind mehr als 500 Trips online und jede Woche kommen viele weitere dazu – und nehmen bei Interesse Kontakt zum TripLeader auf. JoinMyTrip verdient an der Gebühr mit und verzichtet komplett auf Werbung. „Ich glaube, dass uns jene Reisen besonders prägen, die uns aus unserer Komfortzone reißen“, sagt Niels.
Im März 2020 war es dann aber zunächst die Corona Pandemie, die Erwartungen und Pläne über den Haufen warf und Niels, Valentin und das 16-köpfigen Team ins Homeoffice versprengte. „Wir haben nur zwei Stunden gebraucht, um uns organisatorisch auf die neue Situation einzustellen“, so Niels Mueller-Wickop, der trotz großem Crash vieler Reiseunternehmen und Unsicherheiten im Tourismus optimistisch blieb. „Für uns war ziemlich schnell klar, dass hier Chancen für uns liegen. Wir sind digital und flexibel. Dazu bilden wir Reisetrends und den Wunsch nach bewussterem, nachhaltigem Reisen ohne Zeitverzögerung ab. Und will jemand seinen Surftrip 2020 entlang der Ostseeküste machen, anstatt nach Bali zu reisen, ist das für uns kein Problem. Viele etablierte Player stellt diese Veränderung vor nicht überschaubare Herausforderungen.“
JoinMyTrip bleibt damit auf Wachstumskurs. Im Juli 2020 schaffte es das Team bereits wieder in das Business Insider Ranking der 20 wachstumsstärksten Startups. „Nach einer leichten Delle durch Corona profitieren wir von der Marktbereinigung, der beschleunigten Digitalisierung und dem bewussteren Reiseverhalten“, sagt der Gründer.