Kolumne von Peter Axel Hass aus dem Hamburger Rathaus
Hamburg, 14. September 2022 - Hamburgs Bürgermeister Tschentscher konnte sich während der ersten Bürgerschaftssitzung des September wieder mal zurücklehnen: Zwar hatte die CDU die aus ihrer Sicht desaströse Halbzeitbilanz des rot-grünen Senats, der seit Frühjahr 2020 die Stadt regiert, als Thema der Aktuellen Stunde angemeldet. Doch so richtig zünden konnte keiner der zahlreichen Vorwürfe der Oppositionspolitiker: Weder das von den Linken konstatierte „soziale Ungleichgewicht“, noch die „Vernachlässigung des Hafens“ (CDU) oder eine „unsoziale Verkehrspolitik“ (FDP) machten und machen die Vertreter von SPD und Grünen wirklich nervös. Das liegt nicht nur an ihrer - gern betonten - Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der beide Parteien die Bürgerschaft dominieren. Es lag und liegt auch den internen Zwistigkeiten der drei Oppositionsparteien, die die Arbeit ihrer großteils wackeren Bürgerschafts-abgeordneten überschatten.
Bei der Union lag der Zwist zwischen dem betont konservativen Landesvorsitzenden Ploß, dem um Ausgleich bemühten Fraktionschef Thering und dem liberalen Flügel um den ehemaligen Bürgermeisterkandidaten Weinberg seit längerem in der Luft. Ausgerechnet um die Frage eines CDU-Eintritts des früheren AfD-Bürgerschafts-Fraktionsvorsitzenden Kruse entzündete der sich nun scharf in aller Öffentlichkeit. Ploß hatte den Coup offenbar eingefädelt, ohne mit seinen führenden Parteifreunden darüber zu sprechen. Die zeigten sich empört, besonders im liberaler tickenden Kreisverband Altona, dem Weinberg lange vorstand. Nach tagelanger Debatte einigte man sich auf einen Formelkompromiß, der ehemalige AfD-Mandatsträger in der Hamburger Union nur nach genauer Beäugung durch den Landesvorstand zulässt. Alles andere hätte den berechtigten Bestrebungen der CDU, die AfD wieder aus den Parlamenten zu verdrängen wohl auch schwer geschadet.
Schaden unter weiblichen Unions-Anhängern soll jetzt nicht nur die auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover beschlossene Frauenquote-light abwehren. Der Hamburger Landesausschuss der Union folgte nun dem Antrag der Frauen-Union, künftig auf Orts- Kreis- und Landesebene Doppelspitzen einzuführen. Das werde es auch Frauen erleichtern, in diese Positionen zu gelangen, argumentierten die Damen der Elb-Union. Ob ausgerechnet dies die Charme-Offensive des Landeschefs Ploß in Richtung AfD stützt, wird man bezweifeln müssen.
Zweifelsfrei kontraproduktiv war der Versuch von FDP-Landeschef Kruse (soweit bekannt, nicht verwandt mit dem Ex-AfDler gleichen Nachnamens), seine innerparteilichen Gegner beim Landesparteitag zur Monatsmitte mit einem öffentlichen Handschlag zu überrumpeln. Seit einem halben Jahr arbeiten die sich an Kruses Fehlentscheidung ab, die Corona-Hotspot-Auslegung des Senats vom Frühjahr gerichtlich anzugehen. Zwar nahm der Landes-Parteichef dieses Ansinnen rasch zurück, doch nach gegenseitigen Vorwürfen sollten Ex-JuLi-Landeschef Coste und drei weitere Jungliberale aus der Partei geworfen werden. Der Streit darüber ist zwar längst nicht ausgestanden. Kruse versuchte aber nun zum Ende einer Rede mit einem demonstrativen Händedruck, dem sich der verdutzte Parteifreund Coste vor der versammelten Mitgliedschaft nicht entziehen konnte, genau diesen Eindruck zu erzeugen. Erst ein korrigierender Wortbeitrag des gestalkten Jungliberalen rückte den falschen Eindruck zu Recht, die Presse schrieb von „Nötigung“. Zurück bleibt eine Hamburger FDP, die ein Deja Vu erlebt: Wie vor knapp zehn Jahren werden die Elbliberalen von einem offenbar überforderten Landesvorstand an die Wand gefahren, den zwei Bundestagsabgeordnete dominieren. Was der Wähler damals davon hielt, ist bekannt.
Die Linke kämpft im Bund mit schwachen Umfragewerten, bleibt auch in Hamburg nach Ansicht vieler Unterstützer unter ihrem Potential. Das Durcheinander auf dem letzten Landestreffen, gekrönt von vollbärtigen Kandidaten, die als Frau angesprochen werden wollten, dürfte dem nicht entgegengewirkt haben. Von den giftigen Debatten zwischen Alt-Marxisten und gemäßigten Pragmatikern ganz zu schweigen.Und so konnte sich Rathauschef Tschentscher derweil in Ruhe den bürgermeisterlichen Tätigkeiten widmen, die ihn in den Augen vieler Hamburger schätzenswert machen: Kondolenzwüsche an die Windsors zum Tode der Queen, großer Empfang für den neuen Ehrenbürger Lindenberg. Der nächsten Debatte über die zahlreichen Probleme Hamburgs unter seiner Regierung kann Tschentscher weiter gelassen entgegenblicken.