Die „Niederlandisierung“ norddeutscher Politik

Die „Niederlandisierung“ norddeutscher Politik

Der Europa- und Kommunal-Wahlsonntag liefert auch im Norden einen politischen Paukenschlag. Die „Niederlandisierung“ (nord-) deutscher Politik dämmert herauf. Was das ist? Lesen Sie selbst.

Von: Peter Axel Haas

Hamburg, Juni 2024. Die Grünen verlieren zwischen einem Drittel (Hamburg) und fast der Hälfte (Schleswig-Holstein) Ihrer Wählerschaft, die Jugend geht ihr bundesweit sogar zu fast zwei Dritteln flöten. Die AfD wächst an der Elbe auf etwas unter, zwischen den Meeren auf deutlich über zehn und in Mecklenburg-Vorpommern auf fast 30 Prozent. Die SPD unterbietet ihr sehr schlechtes Ergebnis von 2019 überall noch mal, die CDU gewinnt etwas. Die FDP hält sich und mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und Volt tauchen neue Player im Politmarkt auf.


Was für sich genommen schon wie ein Wirbelsturm durch den Parteienwald rauscht, liefert langfristig den Ausblick auf Verhältnisse, wie sie in den Niederlanden schon seit vielen Jahren herrschen: Kaum noch Volksparteien, die die 30 Prozentmarke überwinden, was in Schleswig-Holstein und Niedersachsen gerade mal so der CDU gelang. Dafür immer mehr Klein- und Kleinstparteien, die um und unter 20 Prozent rangieren. Das lässt Zweierkoalitionen, wie sie derzeit noch in Hamburg, Hannover, Kiel und Schwerin die Landesregierungen tragen, für die Zukunft sehr unwahrscheinlich werden. Stattdessen werden Dreier- oder sogar Vierer-Parteien-Bündnisse, wie wir sie jetzt schon im Bund oder Magdeburg erleben, auch im Norden immer häufiger gebildet werden müssen, um noch Regierungsfähigkeit herzustellen – angesichts des Dauerstreits in der Ampel und des Verdrusses der Wahlbürger darüber keine guten Perspektiven.


Am härtesten trifft es dabei die Grünen: Wohl vor allem wegen ihrer deutlich linken Migrationspolitik unter der forschen Sozialministerin Aminata Touré sind sie im hohen Norden auf gerade noch 15 Prozent halbiert worden. Die betont bürgerliche Hamburger Obergrüne Katarina Fegebank versucht sich den Niedergang auf noch 21 Prozent mit dem Hinweis schönzureden, dass man knapp vor SPD und CDU noch stärkste Kraft in der Hansestadt sei. Aber der Blick auf gut 12 Prozent in Niedersachsen oder sogar nur 4,8 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern zeigt: Von Volksparteiträumen und dem Ziel der Eroberung einer Senats- oder Staatskanzlei können sich die Ökos verabschieden. Die Aufstellung eines Kanzlerkandidaten würde erst recht nach den absehbar desaströsen Landtagswahlergebnissen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst lächerlich wirken. Und noch schlimmer: Rot- oder Schwarz-Grüne Bündnisse, wie sie jetzt in Hamburg und Kiel noch regieren, haben kaum Zukunftsaussichten, solange die Wahlbürger eine drastische Klima-Transformation aller möglichen gesellschaftlichen Bereiche in Zeiten ökonomischer und weltpolitischer Unsicherheiten ablehnen.


Nicht weniger trübe  sehen die Aussichten für die SPD aus: Gerade noch in Bremen etwas über 20 Prozent, sonst überall deutlich darunter, in Mecklenburg-Vorpommern sogar bei 10 Prozent – daraus lässt sich kein Führungsanspruch mehr ableiten. Auch wenn die Sozialdemokraten etwa bei den parallel abgehaltenen sieben Hamburger Bezirkswahlen zwischen 21 und 28 Prozent landeten, werden sie nur in einem davon weiter mit den Grünen regieren können. Ansonsten drängen sich Schwarz-Rot (Wandsbek) oder Deutschland-Koalitionen mit CDU und FDP auf (Mitte oder Nord), eventuell könnte auch die neu aufgetauchte linksliberale Volt-Truppe eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich Bürgermeister Peter Tschentschers frühe Festlegung auf eine Fortsetzung des rot-grünen Bündnisses im Hamburger Rathaus nach der Bürgerschaftswahl vom 2. März 2025 nicht nur als unrealistisch - sie ist auch unklug, weil er ohne Vertrauensverluste davon kaum mehr herunterkommen wird.


Die CDU wittert angesichts des Desasters der angestammten Konkurrenz Morgenluft, vor allem in Hamburg: Falls Rot-Grün wirklich abgewählt würde, wäre der immer smarter auftretende Partei- und Fraktionschef Dennis Thering wohl im nächsten Frühjahr Senator – nach 13 Jahren Opposition ginge für die Elbunion ein Traum in Erfüllung. Im Osten allerdings zeichnet sich eher ein Alptraum für den liberalen Flügel der Partei ab: Die sogenannte Brandmauer zur AfD, die jetzt schon in den Kommunen allerorten bröckelt, wird auch in den Ländern absehbar nicht zu halten sein – es sei denn, die Union entschließt sich zur Zusammenarbeit oder gar Koalitionen mit dem BSW. Ob aber moderne liberal-konservative Politik ausgerechnet mit Putin-nahen Altstalinisten besser umgesetzt werden kann, als mit Rechtspopulisten, unter denen sich auch Rechtsradikale tummeln, das dürfte würde wohl erst einem Lachmustest unterliege müssen. In den Niederlanden absolvieren bürgerliche Parteien den gerade mit Geert Wilders.

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