Wie konnte das passieren? „Wir gehen fest davon aus, dass dies ein Irrtum beziehungsweise schlicht ein Vergessen ist, das schleunigst geheilt werden muss“, barmte Michael Thomas Fröhlich, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UV Nord) nach Bekanntwerden der Vernachlässigung Norddeutschlands. Man wolle nun beim Bundeskanzler vorstellig werden, der ja bekanntermaßen Hamburg verbunden sei, hieß es. Die Hoffnung stirbt zuletzt, möchte man dem wackeren Wirtschaftsvertreter zurufen – aber ein Irrtum dürfte bei einer so lang heiß diskutierten und intern sorgsam abgewogenen Priorisierung wohl ausgeschlossen sein. Dagegen gibt es gewichtige politische Gründe für die Missachtung norddeutscher Interessen: Hamburg hat neben der A 26 Ost - früher Hafenquerspange genannt und seit bald dreißig Jahren in Planung – keine neuen Projekte. Und das Planfeststellungsverfahren für die dringend benötigte Entlastungsstrecke zwischen Elbtunnel und Elbbrücken soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, ließ Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard verlauten. Danach werde zügig gebaut, Beschleunigung nicht nötig, so die Begründung.
Ob das auch gegen BUND, NABU und weitere Vorfeldorganisationen der Grünen sowie deren Autofahrergegner in der Hamburger Rathauskoalition durchzusetzen sein wird, muss die ehrgeizige Hamburger SPD-Chefin noch beweisen – sozusagen ihr Lehrstück zum Imagegewinn bei Wirtschaft und Bürgertum, das Leonhard auf dem Weg ins Bürgermeister-Amtszimmer bestehen will.
Schleswig-Holstein mit dem auch für Hamburg so wichtigen Weiterbau der A 20 von Bad Segeberg Richtung Elbe dürfte vor allem aus politischen Gründen hinten runter gefallen sein: Die Beendigung der schwarzgelben Koalition mit den durchaus erfolgreichen Nord-Liberalen durch den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther nach der letzten Landtagswahl haben Kubicki, Buchholz & Co persönlich übel genommen, geschah das doch anders als in Düsseldorf ohne Not. Auch in Berlin ist das Verhältnis zwischen Union und FDP immer angespannter, nicht erst seitdem sich die gelbe Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz bei einer Karnevalsrede heftig vorgenommen hatte. „Soll Günther doch sehen, wie er mit den Ökos klarkommt und den Wählern die anhaltende Autobahnblockade erklärt“, raunt ein führender Liberaler, der ungenannt bleiben möchte.
Außerdem macht in Berlin die Erzählung die Runde, das Wissing seinem grünen Amtskollegen Robert Habeck einen politischen Gefallen erweisen wollte – der muss daheim in Flensburg jetzt keine Abbitte unter den Parteifreunden leisten, warum ausgerechnet eine Teil-grüne Ampel das idyllische Südholstein zu asphaltiert. Auch führende Sozialdemokraten sollen angesichts der immer größeren Beliebtheit Günthers gegen einen „politischen Dämpfer“ für den „Rising Star“ der CDU nichts auszusetzen gehabt haben.
Und ein solcher ist die Entscheidung gegen den Norden in jedem Fall: Die wegen des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) ohnehin kippelige Entscheidung des schwedischen Northvolt-Konzerns, in Heide eine Batteriefabrik zu bauen, dürfte ohne bessere Autobahnanbindung Dithmarschens unsicherer denn je werden.
Nachrangig statt vordringlich – der Norden wird dieses Votum aus Berlin nicht vergessen.